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64'er

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Electronic Mail - Die neue Form der Postbeförderung

64'er Ausgabe 7/Juli 1984, S. 22-23

Hauptanwendungsgebiet für Textverarbeitungsprogramme auf Personal- und Homecomputern ist das Schreiben von Briefen. Hier haben die Computer wesentliche Leistungs-, Zeit- und Kostenvorteile ermöglicht. Die Übermittlung der schriftlichen Mitteilungen erfolgt aber immer noch auf dem traditionellen Postweg mit langen Laufzeiten und hohen Kosten.

Immer deutlicher zeichnet sich ab, daß die Computer bald auch die Übermittlung von Briefen und Mitteilungen einschneidend verändern werden. Die großen Computerfirmen haben schon seit Jahren Systeme in Betrieb, mit denen sie dem teuren Briefverkehr ausweichen. Es handelt sich um Electronic-Mail-Systeme, die oft weltweit ausgelegt sind und die Mitarbeiter in die Lage versetzen, jederzeit und blitzschnell miteinander zu kommunizieren. Bildschirmterminals und Personal Computer werden über Modem oder Akustikkoppler ans Telefonnetz angeschlossen. Ebenfalls ans Telefonnetz angeschlossen ist ein Zentralcomputer, auf dem ein Mail-Box-Programm läuft. Dieses Programm richtet den Mitarbeitern elektronische Briefkästen und Editierplätze ein. Benutzerkennummern und Paßwörter ermöglichen es den Mitarbeitern, über ihre Terminals und PCs Mitteilungen abzurufen und zu senden, von jedem beliebigen kommunikationsfähigen Terminal oder PC. Die "Zustellung" beziehungsweise Verwaltung der Mitteilungen erfolgt im Zentralcomputer, der 24 Stunden am Tag ansprechbar ist.

Einige Computerfirmen wie Tandem haben ihr Electronic Mail System den Mitarbeitern über die rein betriebliche Anwendung hinaus geöffnet. Die Begeisterung darüber ist groß. Neben technischen Fragen und Problemlösungen werden betriebsintern auch Clubinformationen oder Gesuche und Angebote für zum Beispiel Gebrauchtwagen, Wohnungen und ähnliches allen Betriebsmitgliedern zugänglich gemacht.

Gegenwärtig sind Electronic-Mail-Systeme fast nur bei großen Computerfirmen im Einsatz. Terminals, PCs und Modems waren teuer. Entsprechende Zentralcomputer mit Mailbox-Programm ebenfalls. Der rasante technische Fortschritt im PC- und Homecomputerbereich hat diese Voraussetzungen im letzten Jahr einschneidend verändert. Preiswerte Personal und Homecomputer sind über oft bereits eingebaute V.24-Schnittstellen kommunikationsfähig und in großen Stückzahlen vorhanden. Neue, integrierte Modemchips haben Modems und Akustikkoppler in einen Preisbereich gebracht, in dem sie massenhaft Absatz finden können.

In den USA und England zeigt sich jetzt ein sehr starker Trend zur breiten Nutzung von Electronic Mail. Zunächst waren es vor allem Unternehmen, die bei Rechenzentren Kapazitäten für Electronic Mail anmieteten. Inzwischen gibt es auch mehrere Firmen, die Electronic Mail mit eindrucksvollen Erfolgen privaten Home- und Personal Computerbesitzern anbieten. Abrufsoftware und entsprechende Modems für die Home- und Personal Computer sind als preiswerte Paketangebote, oft inklusive eines Electronic-Mail-Abonnements, in allen Computershops erhältlich. Da Mailbox-Software (für die Zentralstation) inzwischen auch für eine Reihe leistungsfähiger PCs preiswert verfügbar ist, gründen immer mehr Privatpersonen und Clubs sogenannte Bulletin Boards, kleinere Electronic-Mail-Systeme, die in der Regel auch als Informationsdatenbanken ausgelegt sind.

Electronic Mail wird sich auch in der Bundesrepublik durchsetzen. Dies dürfte schneller geschehen, als auf den ersten Blick zu erwarten ist. Mächtig dazu beitragen wird ein neuer Service, den die Bundespost mit ungewohnter Geschwindigkeit und Innovationsfreude demnächst einführt. Es handelt sich um die Telebox, einen bundesweiten Electronic-Mail-Service für alle über Akustikkoppler oder Modem kommunikationsfähigen Personal Computer, portable Computer, Terminals und natürlich auch Homecomputer.

In Mannheim wird ein Telebox-Zentralcomputer installiert, der über das normale Telefonnetz oder über die Datex-Dienste zugänglich ist. Geboten wird ein Electronic-Mail-System mit beachtlichen Leistungsmerkmalen:

  • Jeder Nutzer des Telebox-Systems erhält eine eigene Adresse, die ihn zusammen mit dem persönlichen Paßwort als berechtigten Nutzer des Systems ausweist und ihm dadurch das Eingeben und Auslesen von Mitteilungen im System ermöglicht.
  • Mobilität bei ständiger Erreichbarkeit. Von jedem beliebigen Ort kann sich der Benutzer über die Datexnetze oder das Telefonnetz an das System anschalten, auch mit einem transportablen, akustisch gekoppelten Datenendgerät, das in der Aktentasche mitgeführt und an jedem beliebigen Telefon benutzt werden kann. Eingegangene Mitteilungen werden ausgelesen, eine Antwort beziehungsweise eine Mitteilung abgesetzt oder eine abgelegte Mitteilung aus dem Speicher abgerufen.
  • Einfaches Abspeichern und schnelles Wiederauffinden von Mitteilungen (elektronischer Aktenschrank). Der Benutzer kann sich Ablagefächer anlegen, die er beliebig strukturiert und benennt.
  • Editieren und Formatieren von Texten. Ein umfangreicher Vorrat an Befehlen erleichtert dem Benutzer das Erstellen von Texten, die ebenfalls in wiederaufrufbare Dateien abgespeichert werden können.
  • Erleichterungen beim Absenden und Lesen von Mitteilungen.
    Mit der Angabe von Mehrfachadressen läßt sich dieselbe Mitteilung in einem Arbeitsgang an mehrere Empfänger absenden.
    Adreßverteiler können vom Benutzer selbst angelegt werden.
    Die Abfrage von Kopfzeilen erleichtert die Übersicht, wenn mehrere Mitteilungen eingegangen sind.
    Das Weiterleiten von eingegangenen Mitteilungen an andere Telebox-Adressen mit oder ohne Zusetzen von Kommentaren erlaubt eine rasche Bearbeitung.
    Das Beantworten von eingegangenen Mitteilungen ist in vereinfachtem Format möglich.
    Die Nutzung der Leistungen von Telebox kann zu rascherer und effizienterer Information zwischen den Partnern führen. Damit ist außerdem Zeit- und Kostenersparnis verbunden.
  • Schwarzes Brett: Hier können Informationen im System bereitgehalten werden, auf die entweder alle Benutzer oder bestimmte Gruppen von Benutzern zugreifen können. Dabei können Sparten mit beliebigen Namen eingerichtet werden, die vom Benutzer gezielt abgefragt werden. Informationen, die rasch einen größeren Empfängerkreis erreichen sollen, lassen sich auf diese Weise einfach zugänglich machen.
  • Verzeichnisse: Sie erleichtern das Herausfinden der Adressen der Partner, denen man Mitteilungen zuleiten möchte. Es können Kurznamen und firmeninterne Bezeichnungen als Referenzadressen festgelegt werden, die vom System in die allgemeinen Adressen umgesetzt werden.

Während bei Bildschirmtext die Vorbereitung Jahre in Anspruch nahm und die Testphase mit beschränkter Teilnehmerzahl drei Jahre lief, startet die Telebox praktisch aus dem Stand. Im August bis September beginnt ein Teilnehmer-Test-Betrieb. Diese Phase wird subventioniert und ist für alle Interessenten offen.

Da preiswerte Akustikkoppler und preiswerte Kommunikationssoftware für Home- und Personal Computer zum Teil schon auf dem Markt sind oder nicht mehr lange auf sich warten lassen werden, muß die Telebox bei jedem Computerbesitzer Freude aufkommen lassen. Was allerdings bisher über die Telebox bekannt ist, trübt die Freude etwas.

Die Telebox

Zielgruppe der Bundespost sind hauptsächlich große und mittlere Unternehmen, denen die Telebox eine verbesserte und preiswertere Kommunikation zwischen Außendienst und Zentrale bringen soll. Bei den langen Laufzeiten und hohen Kosten des normalen Briefverkehrs und der Immobilität des Telex ist dieses Ziel nicht schwer zu erreichen. Mit einer nutzungszeitabhängigen Gebührenstruktur (vermutlich 0.30 Mark pro Minute) und einem monatlichen Mindestbetrag (vermutlich 80 Mark) ist der neue Service für die private Nutzung mit Home- oder Personal Computer zu teuer.

Trotz der für die private Nutzung unfreundlichen Gebührenstruktur sollten Besitzer von Home- und Personal Computern und speziell Besitzer des C 64 den neuen Service begrüßen. So wie die Einführung des PC durch die marktstarke IBM das Interesse und das Angebot an Personal Computern verbreiterte, wird die Telebox den Weg zu einer Vielzahl von Electronic-Mail-Systems und Bulletin Boards in der Bundesrepublik ebnen. Bereits jetzt bieten private Unternehmen wie Time Share, Digital Equipment, General Electric und andere Electronic Mail an, natürlich noch für Firmenkunden und zu Preisen, die ähnlich liegen, wie bei der Telebox. Es werden neue Unternehmen auftreten, welche preiswerte, auf große Teilnehmerzahlen ausgerichtete Electronic-Mail-Services der Vielzahl von Homecomputer- und Personal Computer-Besitzern anbieten werden. Technisch und kommerziell gesehen sind solche neuen Unternehmungen möglich und attraktiv. Hindernd wirkt sich gegenwärtig nur die Rechtsunsicherheit darüber aus, ob solche Services auf privater Basis zulässig sind.

Die Post wäre gut damit beraten, Wettbewerb zuzulassen. Einmal wird ihre Basis an Gebühreneinnahmen verbreitert, da die Nutzer solcher Services auf alle Fälle das Leitungsnetz der Post in Anspruch nehmen müssen. Die Nachrichtenvermittlung durch den Electronic-Mail-Service ist eine zusätzliche Dienstleistung, die sich innerhalb der Grundstücksgrenzen, sogar innerhalb des Computers des privaten Anbieters vollzieht. Das Monopol der Post auf Grundstücksgrenzen überschreitende Kommunikation wird gar nicht in Frage gestellt, und alle Erfahrungen der letzten Jahre sprechen dafür, daß private und kleinere Unternehmen bessere Chancen haben als die Post, innovative Mailbox-Software zu entwickeln und zu realisieren.

Im Bereich des Pakettransports konnten (nach einigen rechtlichen Schwierigkeiten) neue Unternehmen wie UPS, Deutscher Paketdienst und Ipec der Post Konkurrenz machen. Resultat ist ein wesentlich verbessertes Preis/Leistungsverhältnis im Paketdienst. Auch bei der Post, die im Wettbewerb jetzt ebenfalls neue Dienstleistungen anbietet.

Der Bereich der Telekommunikation ist für die zukünftige Entwicklung der Volkswirtschaft bestimmt nicht weniger wichtig als der des Pakettransports. Gerade bei der Telekommunikation hat die Bundesrepublik viel aufzuholen. Sollte man es sich ausgerechnet dann leisten, auf die Dynamik des Wettbewerbs und das heißt den Erfindungsgeist und die Initiative neuer Unternehmen zu verzichten?

(Hersch Fischler)

© Originalartikel: WEKA Verlagsgesellschaft, 64'er
© HTML-Veröffentlichung: Projekt 64'er online
Erfassung des Artikels: Ralf Eichberger



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