Schwarze Schafe im weißen Mäntelchen64'er Ausgabe 9/September 1986, S. 12-13Immer wieder erreichen uns Briefe von Lesern, die sich bei Bestellung und Service von Firmen im Stich gelassen fühlen. Wir haben uns daraufhin mit den Verantwortlichen dreier Firmen zusammengesetzt und diese um Stellungnahmen gebeten. Der folgende Artikel soll niemanden verdammen oder anklagen. Unser Ziel ist es lediglich einmal Klarheit zu schaffen. Warum fühlen sich Kunden von Firmen vernachlässigt? Was haben die Firmen dem entgegenzusetzen? <"Es erstaunt mich, daß eine derart renommierte Firma so mit ihren Kunden umgeht. Es entsteht der Eindruck, daß man vom Moment der Bezahlung an "abgeschrieben" ist und kein Recht mehr auf irgendwelche Serviceleistungen hat..." Ein Zitat aus einem Leserbrief an die 64er-Redaktion. Solche Leserbriefe erreichen uns immer wieder, wobei das abgedruckte Beispiel sicher eines der harmlosesten Sätze ist. Sätze, wie "... möchte ich Sie bitten mir mitzuteilen, ob es ratsam ist an dieser Stelle einen Rechtsanwalt einzuschalten..." oder "...werden wir (wie bisher) in unserer Club-Zeitschrift solche schwarzen Schafe weiterhin an den Pranger stellen. Denn es darf erst gar nicht einreißen, daß zum Beispiel Schüler für ein halbfertiges Programm womöglich ihr ganzes Taschengeld des Monats hinblättern und nichts als Ärger haben..." finden wir nicht selten in den Briefen von sehr erbosten oder einfach hilflosen Lesern, die keinen Rat mehr wissen. Die Tatsache, daß uns solche Briefe teilweise stark gehäuft erreicht haben, bekräftigte uns in unserem Vorsatz, dieses "heiße" Thema einmal anzusprechen. Ursprünglich hat es die Redaktion des 64'er Magazins so gehalten, daß die entsprechenden Leserbriefe oder -anfragen von uns mündlich oder schriftlich an die betroffenen Firmen weitergeleitet wurden. Dazu kam dann eine Bitte um Stellungnahme oder Bearbeitung. Wir werden auch künftig versuchen, unseren Lesern auf diese Weise weiterzuhelfen. Es soll aber darüber hinaus auch unsere Aufgabe sein, den direkten Kontakt zwischen den Firmen und den Kunden zu verbessern, ohne daß sie den Umweg über eine Redaktion nehmen müssen. Aus diesem Grund haben wir Michael Grewe von Grewe Computertechnik, Matthias Jann von Jann Datentechnik und Ralph Roeske von Brillant Software gebeten uns zu besuchen. Diese Hersteller haben oder hatten die größte "Leserresonanz" und sollen hier stellvertretend auch für andere Gelegenheit bekommen, ihre Sicht des Sachverhalts darzulegen. Aus den Leserbriefen ist mittlerweile klar geworden, welche Hauptprobleme mit Firmen auftreten. Das ist erstens die Lieferzeit, die sich in der Vergangenheit teilweise extrem ausgedehnt hat. Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr waren keine Seltenheit. Zweitens sind es die Serviceleistungen der einzelnen Firmen. Öfters kam es vor, daß das endlich eingetroffene Produkt defekt war oder auf dem vorhandenen Computersystem nicht einwandfrei lief. Bei telefonischen Rückfragen war die entsprechende Firma entweder kaum zu erreichen oder eine Reparatur bedeutete erneut eine fast unzumutbare Wartezeit. Drittens schließlich gab es viel Ärger durch die Tatsache, daß das Produkt nicht die Leistung[en] brachte, die in Testberichten und Anzeigen herausgestellt wurden. Daran war zumeist ein "Wald" von verschiedenen Versionen schuld, die sich alle gleichzeitig auf dem Markt befanden. Wollen wir uns den drei Hauptproblemen der Reihe nach widmen. Zuerst die langen Wartezeiten. Hier hat es sich gezeigt, daß Firmen oftmals für Produkte werben, die sich noch in der Entwicklung befinden. Unsere Redaktion beispielsweise erhält nun ein Testmuster, das als Serienprodukt vertrieben werden soll, jedoch teilweise erst einen Prototypen darstellt. Unsere Tests sollen dem Leser sowohl sagen, was es Gutes auf dem Markt gibt als auch neue Produkte in ihren Vorzügen und Nachteilen vorstellen. Das kann Ihnen unter Umständen böse Überraschungen nach dem Kauf ersparen, bedeutet aber auf der anderen Seite, daß sich Firmen nach positiv ausgefallenen Testberichten unter Umständen vor Bestellungen kaum noch retten können. ZU LANGE WARTEZEITEN Diese Problematik hat M. Grewe in unserem Interview sehr ausführlich dargelegt: "Es fängt damit an, daß ich die Anzeigen früher schalten muß als ich das Produkt auf den Markt bringe, weil wir einen Vorlauf von mindestens 6 Wochen haben. Wir schalten die Anzeige für den Zeitraum, in dem das Produkt nach unserem Zeitplan verkaufsfertig sein sollte. Ich habe Interesse daran, eine Anzeige im voraus zu bringen, da das Geschäft sehr kurzlebig ist, und wenn mir jemand zuvorkommt, bin ich der Dumme. Allerdings ergeben sich häufig Verzögerungen gegenüber der Planung. Gerade bei Software-Produkten, in denen viel Arbeit steckt, tauchen immer wieder unvorhersehbare Schwierigkeiten auf. Das braucht manchmal vier Wochen länger bis endlich alles fertig ist. Dann kommt zum Beispiel ein Boom. Eine Zeitschrift bringt einen guten Testbericht, oder es ist Weihnachten. Wenn so etwas passiert, dann kommen wir mit der Produktion nicht mehr nach. Erstens kann man vorher nie genau abschätzen, was oder wieviel man verkauft. Ich schätze man verkauft von einem Artikel 1000 Stück, dann lasse ich diese Anzahl produzieren. Das kostet bereits dann schon schon mehrere 10000 Mark. Eine größere Stückzahl ist bei diesen Investitionskosten einfach nicht möglich. Jetzt kommt aber eine größere Nachfrage von seiten der Kunden beispielsweise an Weihnachten, über 2000 oder 3000 Stück. Dann muß ich erst einmal die restlichen 1000 oder 2000 Platinen herstellen lassen. Die Platinen bekomme ich zwar sehr schnell, aber trotz alledem, unter vier Wochen Lieferzeit ist nichts zu machen. Das ist schon die zweite Verzögerung, die den Liefertermin um acht Wochen verlängert." 64'er: "Und die Verzögerungen und Stückzahlen sind nicht besser kalkulierbar?" M. Grewe: "Nein, die sind nicht kalkulierbar, weil die Summen, um die es geht, einfach viel zu groß sind. Gerade bei der Hardware-Produktion fallen enorme Bauteilekosten an, und ich kann aus diesem Grund nur eine bestimmte Stückzahl einkaufen. Man kann sich wirklich schwer verkalkulieren. Dann hat man eben 1000 Stück zuviel bestellt und hinterher ist von der Firma nichts mehr übrig." Soweit die Darstellung von M. Grewe zu diesem Problem. Es ist an dieser Stelle vielleicht notwendig etwas über die Struktur der Firmen zu sagen, für die Herr Grewe stellvertretend gesprochen hat. Diese Unternehmen sind in der Regel sehr klein. Das heißt, die fachliche Arbeit ruht auf einem Hauptverantwortlichen, der von vielleicht fünf bis zehn, oft freiberuflichen, Kräften unterstützt wird. Unter den vielen kleinen Firmen sind dabei auch eine ganze Menge Familienbetriebe: R. Roeske: "Ich habe zum Beispiel eine kleine Firma, einen Familienbetrieb. Der größte Teil der Arbeit lastet einzig und allein auf mir. Was die anderen Mitarbeiter im Haus machen, das kann im Prinzip von jeder Person gemacht werden. Die Sachen, die wirklich zeitintensiv sind, die kann nur ich machen," Diese Firmenstruktur schlägt sich natürlich auch auf den Service nieder. Wenn eine kleine Firma schon einmal alle Hände voll damit zu tun hat, Platinen herzustellen oder Fehler in einem Programm zu beheben, dann kommt der zusätzliche Service in der Regel zu kurz. Wir fragten, was denn dagegen spricht, dem Kunden direkt nach dem Eingang seiner Bestellung eine Auftragsbestätigung zuzuschicken und ihn auf eventuelle Wartezeiten aufmerksam zu machen. Nach unserer Erfahrung werden Kunden immer dann nervös, wenn sie überhaupt nichts von einer Firma hören. Erst recht, wenn der Rechnungsbetrag schon vom Konto abgebucht oder vorausbezahlt wurde. M. Jann: "Generell planen wir die computergestützte Kundeninformation besser auszubauen. Bei uns scheitert es im Augenblick daran, daß wir jede Bestellung manuell verwalten müssen, weil unser bisheriges Programm - es war auf 200 Kundenbestellung[en] ausgerichtet - irgendwann überfordert worden ist. Wir mußten jeden Kunden manuell verwalten. Aufgrund dieser Tatsache scheiterte es zum Beispiel, daß die Kunden angeschrieben wurden, daß es später wird." Im Verlauf unseres Gesprächs kamen wir auch auf ein Thema zu sprechen, das ebenfalls sehr viele Leser bemängelt haben - den Telefonservice. Es zeigte sich bei unserer Diskussion, die inzwischen mehr oder weniger leidenschaftlich geworden war, daß dieses Problem Hand in Hand mit den vorher angesprochenen Schwierigkeiten geht. M. Jann: "Daß wir oft sehr schwer erreichbar waren, das stimmt. Es war wirklich eine Katastrophe, denn wir hatten bisher nur eine Telefonleitung. Uns war es teilweise nicht möglich, ein abgehendes Gespräch zu führen. Man legte den Finger auf die Gabel, nahm den Finger wieder hoch, und der nächste Kunde war am Apparat." M Grewe: "Die Kunden unterstellen einem, man würde den Hörer neben dem Telefon liegen lassen. Mich hat fast täglich die Störungsstelle angerufen, weil Kunden dort gemeldet haben, unsere Leitung sei ständig besetzt. Was soll man machen? Mir sind schriftliche Bestellungen lieber, aber viele Kunden wollen alles sofort erledigt haben, obwohl das telefonisch auch nicht schneller geht, als schriftlich. Außerdem haben die Anrufer meistens auch noch technische Fragen, die zusätzlich Zeit kosten " WIE SOLL ES WEITERGEHEN? Die Aufforderung der Kunden ist in der Mehrheit relativ einfach zu definieren: Man erwartet von einer Firma in einer akzeptablen Lieferzeit ein einwandfreies Produkt. Ist das Produkt fehlerhaft, so soll es in relativ kurzer Zeit ersetzt oder repariert werden können. Dabei soll die Firma ihre Kunden informieren, falls es zu Verzögerungen kommt oder zumindest eine Auftragsbestätigung schicken. Die Probleme der Firmen lassen sich wohl in der Regel so zusammenfassen: Durch den sehr schnellen und engen Markt im Bereich Computertechnik müssen sie scharf kalkulieren und Anzeigen früher herausgeben als das Produkt fertig ist. Wird das Endprodukt schließlich fertig, so muß der mögliche Absatz kalkuliert werden, wobei ein großer Boom nicht einberechnet werden kann (zu hohe Vorlaufkosten für zu kleine Firmen). Ein positiver Testbericht in einer Zeitschrift kann nun zu starken Lieferschwierigkeiten führen, wobei alle Mitarbeiter in der Produktion und im Vertrieb beschäftigt sind. Zusätzliche Fachkräfte können kurzfristig nicht eingestellt werden. Daraus folgt ein Zusammenbruch der Serviceleistungen. Erschwert wird die Tatsache noch dadurch, daß in der Regel nur eine Person in den kleinen Firmen wirklich kompetente Auskünfte zu Problemen geben kann, jedoch andererseits auch die Entwicklung weitertreiben muß. Sie sehen, daß bei Firmen gravierende Probleme auftreten können, wenn ein positiver Testbericht die Aufträge in die Höhe schnellen läßt. Dabei darf man auch nicht vergessen, daß diese Firmen in der Regel auch noch auf die Lieferungen von Drittherstellern warten müssen, wobei zusätzliche Verzögerungen entstehen. Der Kunde erwartet aber zu Recht bei Verzögerungen zumindest eine Auftragsbestätigung oder eine Information über Lieferprobleme. Ziehen wir also die Konsequenzen aus der Abwägung aller Fakten. Laut eigener Aussage wollen sieh die interviewten Firmen künftig anstrengen, Auftragsbestätigungen oder Hinweise auf eventuelle Lieferschwierigkeiten herauszugeben. Bei Fehlern in einem System, das schon auf dem Markt ist, ist ein preisgünstiger Update-Service zumindest angebracht. Auch vernünftige Handbücher und Verpackungen für sein Gerät kann der Kunde verlangen. Andererseits möchten die Hersteller an dieser Stelle auch die Kunden bitten, sie bei ihrem Vorhaben der besseren Kundenbetreuung zu unterstützen, das heißt, Kunden sollten sich gegenüber den Firmen ein wenig toleranter zeigen. Wir erfuhren von den Herstellern, daß Kunden teilweise schon nach wenigen Tagen anrufen, wann denn das Produkt endlich geliefert würde. Etwas Geduld sollte man schon haben. Lieferfristen von 14 Tagen sind üblich, und gerade bei Soft- und Hardware sollte man sich lieber auf eine Zeit bis zu einem Monat einstellen. Telefonische Beschwerden bewirken innerhalb dieser Zeit keine Beschleunigung der Auslieferung. Man darf nicht vergessen, daß der Telefondienst Zeit kostet, was sich nachteilig auf Liefertermine auswirken kann; besonders bei kleinen Familienbetrieben. Natürlich wird auch unsere Redaktion Konsequenzen daraus ziehen. So wird die Lieferbarkeit eines Produkts in Zukunft ein wesentliches Kriterium bei Tests sein. Dabei kann es passieren, daß wir einen Testbericht lieber ein wenig später veröffentlichen. Dafür bekommen Sie einen ausführlichen Testbericht eines wirklich serienreifen Geräts und der Hersteller hat mehr Zeit, seine Produktion zu organisieren. Treten Lieferschwierigkeiten auf, so werden wir Sie, wenn möglich, informieren, und Sie können Ihre Kaufentscheidung noch einmal über denken. (ks)
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