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Commodore

Der Anfang vom Wahn
oder
"Was ist SOLIDARITAET"

Eine wahre Geschichte von Pierre Simon

1982. Irgendein Tag im Jahr. Ich war 15 und wollte mir ein paar Kleinigkeiten in der Schreibwaren-Abteilung eines großen Kaufhauses für die Schule kaufen. Ich bemerkte, daß eben diese Abteilung umgebaut war. Dort stand nun u.a. ein Tresen in Hufeisenform, an jeder Ecke eine Glasvitrine aufgesetzt, hell erleuchtet. In diesen Vitrinen, verschlossen, Taschenrechner aller Art. Auf einem dieser Tresen stand ein kleiner Fernseher, davor ein Kasten mit einer Tastatur. Über dem Fernseher hing ein Schild: "VC20 - Der Volkscomputer" mit einem Foto des Gerätes und auf dem Gerät selbst lag ein handgeschriebenes Schildchen: "Ausprobieren erwünscht". Man mag sich das mal heute vorstellen.

"Aha" dachte ich, "ein Computer also". Ich hatte sowas vorher mal im Fernsehen gesehen, in Spielfilmen. Daher wusste ich, Computer sind unglaublich "schlau". Und nun stand so ein Gerät vor mir - darauf wartend mit Daten "gefüttert" zu werden oder eine Frage gestellt zu bekommen. So dachte ich zumindest, schließlich stand dort auf dem Bildschirm READY. und darunter blinkte "Etwas".

Also sollte dieser Kasten mir auch was erklären. Ich streckte den rechten Zeigefinger gen Tastatur und tippte langsam ein Wort ein: SOLIDARIT - und nun, wo war denn dieses verdammte Ä? Blödes Ding dachte ich - "eine halbfertige Tastatur, taugt nicht mal zur Schreibmaschine". Gut, dann eben mit AE. Dann noch ein T und schon stand da SOLIDARITAET. "So" dachte ich, "nun erklär mir mal diesen Begriff". Von Übersetzungs-Computern wußte ich, daß nach Eingabe eines Wortes und Druck auf RETURN wenigstens die fremdsprachliche Variante angezeigt wird. Also drückte ich erwartungsvoll auf RETURN und... und... die blöde Kiste meldete etwas von ?SYNTAX ERROR. "So", dachte ich, "wenn DU blödes Ding meinst, mich so billig abspeisen zu können, hast Du Dich getäuscht". Der Forscherdrang war geweckt - aber heftig.

Ich fand neben dem Computer ein blaues, spiralgebundenes Buch. "Das gehört wohl zu Dir, was?" sprach ich den Computer im Geiste an. "Na mal sehen" - "Herzlichen Glückwunsch zum Kauf Ihres neuen Commodore VC20" ... blätter, blätter... "bla bla bla" - "hmmm, was sind das für seltsame Texte hier?

10 PRINT "HALLO"
20 GOTO 10

Mir wurde klar, daß man dieses eintippen musste, also tat ich es. Erste Zeile - RETURN. Zweite Zeile - RETURN. Und nu ? Nix ! "Ah, da steht ja noch RUN". Also noch RUN engetippt - RETURN - und:

HALLO
HALLO
HALLO
HALLO
...

"ER KANN JA DOCH WAS" rief ich heraus. So mancher Kunde schaute mich völlig verwirrt an. Einer blieb neben mir stehen und beobachtete mein Treiben. "Da sind doch noch mehr solcher Texte, puh 50 Zeilen, und hier knapp 100 Zeilen, ganz schön viel". Just in dem Moment kam ein Freund von mir dort vorbei, welch ein Zufall. "Hast DU gerade so gerufen ??" fragte er mich mit ungläubigem Blick. "Ruhig" erwiderte ich. "Hier, 50 Zeilen, lies vor, aber langsam. Das sind Daten. Wir füttern jetzt einen Computer damit". "Einen Computer ? Jetzt ? Hier ? Wo ?". Man sah ihm förmlich an, er suchte nach Männern mit weißen Kitteln, Klemmbrett und vielen Stiften in der Brusttasche - Wissenschaftler eben, nur die machen doch sowas. Ein paar Erklärungen von mir - und er las vor. Er las, ich tippte... und tippte...über eine Stunde lang. Was war das für ein Drama, diese komischen grafischen Symbole auf der Tastatur zu finden. Irgendwann waren wir fertig. Dann kam der grosse Moment : RUN und... "JAWOLL" riefen wir beide. Es tat sich etwas: ein Gebilde, das aussehen sollte wie ein Panzer bewegte sich über den Bildschirm und spuckte so komische Bälle aus. Mein erstes Programm. Das wir noch eine volle weitere Stunde brauchten, um zu erfahren, wie man dieses "wertvolle Zeugnis" unseres Fleißes auch später noch nutzen kann, ohne es jedesmal neu eintippen zu müssen, brauche ich wohl nicht näher zu beschreiben. Schnell war eine leere C60-Kassette in der Musikabteilung gekauft (während mein Freund wie eine Bulldogge den Computer "bewachte", schliesslich sollte keiner unser Werk durch schlichtes Ausschalten zerstören) und mit Hilfe von vier Verkäufern das Programm auf Band gespeichert. Plötzlich waren knapp 2,5 Stunden um.

Am Ende waren wir mit sieben Leuten (der Kunde von eben war auch noch da, fleißig blätternd in der Bedienungsanleitung der "Datasette") - alle bemüht, ein Problem zu lösen, eben wie eine kleine "SOLIDAR-Gemeinschaft". Der komische Kasten hat mir also doch indirekt erklärt, was es mit SOLIDARITAET auf sich hat. Das Ende eines Abenteuers im Kaufhaus, alle gingen zufrieden nach Hause.

Ich habe diese Kassette heute noch, mit exakt diesem ersten Programm. Wahrscheinlich ist sie nicht mehr lesbar, sie hat jedoch für mich symbolischen Wert. Sie hängt - eingerahmt - in meinem Büro, darunter ein Schildchen, auf dem steht "...eine Form von Solidarität". Die wenigsten verstehen diese "Symbolik", umso mehr freue ich mich jedesmal, diese wahre Geschichte erzählen zu können.

Heute bin ich Geschäftsführer einer Softwarefirma mit 15 Mitarbeitern.

 
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